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Rette bloß nicht die blöde Katze, Mann!

Blake Snyders schnoddrig geschriebenes Handbuch „Rette die Katze – das Ultimative Buch übers Drehbuchschreiben“ erschien 2005 und löste eine Welle an Jubel und Zustimmung aus und das nicht nur im Drehbuchsegment, sondern inzwischen auch im Romanschreiben. Ganze Legionen an Nachwuchsautoren stürzen sich an die einfachen Strukturregeln, um ihr Werk die richtige Form zu geben. Und Nu? Es sieht ganz danach aus, dass wir in einer (fiktiven) Gleichförmigkeit der Geschichten leben.

Von Daniel Zemicael 


Neulich sagte mein Kumpel Stefan, ein ehemaliger Philosophiestudent und jetzt im Callcenter tätig, er hätte Lust, ein Drehbuch zu schreiben. Er fragte, was ich ihm denn empfehlen könnte. Irgendein Buch. Ich überlegte, kam aber zu dem Schluss, dass ich ihn wiederum etwas ausfragen musste: Schaut er gerne Filme? Wie ist sein Filmwissen? Kennt er sich in der Filmgeschichte überhaupt aus? Kennt er die wichtigen Vertreter des Genres, in dem seine eigene Geschichte angesiedelt ist? Stefan grübelte kurz nachdem Fragengewitter und strich sich nachdenklich über sein Kinn. „Nö, ich will einfach nur eine Geschichte schreiben, die spannend ist und gut berieseln kann.“ Ich konnte Stefan nicht weiterhelfen und wechselte galant das Thema.

Drei Wochen später rief er mich an. Er habe nun seine Bibel gefunden. Das Werk heißt, „Rette die Katze“ und ist von Blake Snyder. Der schrieb einen Drehbuchratgeber, der simplifizierten Sorte, schlimmer als jedes Syd-Field-Buch und das will was heißen.

Die amerikanische Annektierung des Kreativen

Drehbuchratgeber gab es schon weit am Anfang des Kinos, es ist also nichts Neues oder Atemberaubendes dabei ein solches Buch zu lesen und sich die Regeln zu verinnerlichen. Später wurde die Literatur in diesem Segment beliebter und erfolgreicher als jemals zuvor (Schuld ist der Guru aller Gurus, der bereits erwähnte Syd Field), diese Entwicklung mündete schließlich in einem 2005 erschienenem Buch mit einer drolligen Katze auf dem Cover, in dem das Drehbuchschreiben in eine nie erreichte Simplify-your-life-Formel gepresst wurde. Das Resultat, oder viel treffender formuliert, die Schäden, die der Katzenflüsterer Snyder bis heute verursacht hat, wird inzwischen vor allem in Social-Media-Kreisen viel mehr als dankbare Hilfestellung angesehen: In diversen Videoplattformen preisen junge Autor*innen die Regeln des Katzenbuchs als griffige und einfache Formel an, die das strukturieren eines Drehbuchs und sogar eines Romans erleichtern. Aber um was geht es überhaupt in „Rette die Katze“?

Zunächst sollte der Titel entschlüsselt werden: Gegen Anfang eines jeden Films sollte, laut Snyder, der Held der jeweiligen Geschichte, etwas Großherziges tun, um ihn sofort ins Herz zu schließen. Da können sich natürlich sehr viele Dinge anbieten, wie z.B. eine süße Katze retten. Dies macht den Helden gleich sympathischer, denn ohne Sympathie geht gar nichts, in der Logik von Snyder. Soweit, so falsch. Das Herzstück seines Buches, und darauf beruht auch großer Teil seines Erfolgs, ist das berühmte „Blake Snyder Beat-Sheet“. Das sind 15 Schritte, die vorgeben, was quasi auf jeder Seite eines Drehbuchs zu passieren hat. Um es anschaulicher zu machen, hier ein Überblick:

 

  1. Eingangsbild (S. 1)
  2. Thema (S. 5)
  3. Setup (S. 1-10)
  4. Auslöser (S. 12)
  5. Debatte (S. 12-25)
  6. Plotpoint I (S. 25)
  7. B-Story (S. 30)
  8. Spiel & Spaß (S. 30-55)
  9. Zentraler Punkt (S. 55)
  10. Das Böse rückt näher (S. 55-75)
  11. Alles verloren (S. 75)
  12. Der Seele finstere Nacht (S. 75-85)
  13. Plotpoint II (S. 85)
  14. Finale (S. 85-110)
  15. Finales Bild (S. 110)


Nehmen wir einfach mal den 2. Schritt: Das Thema. Blake Synder meint in seinem Buch, dass das Thema des Films ein wichtiges Merkmal sei und „Laut und deutlich“ ausgesprochen werden muss, und das schon sehr weit am Anfang. Snyders sagt, dass in seinen eigenen Drehbüchern dies immer auf Seite 5 zu finden ist.

Diese normierte und auch rigide Form des Kreativen ist selbstverständlich, eine zutiefst dumme und eine derart unverschämte Art und Weise zu sagen: Denk nicht mehr nach! Sei nicht mehr erfindungsreich! Mach einfach immer das Gleiche! Halte dich an das Beat-Sheet!!!

Diese mechanische Weise der künstlerischen Ausbeutung ist zutiefst typisch amerikanisch, da sie ausschließlich für die kommerzielle Verwertung gedacht ist. Das Publikum sieht einen Film, mit den gleichen dramaturgischen Mustern, erkennt somit den roten Faden und weiß immer und immer wieder, wann was passiert. Die Konzerne, die die Filme produzieren, bemerken, dass sie damit Erfolg haben und tun gut daran, diese Struktur beizubehalten, denn wenn es Ausreißer gibt oder im Drehbuch irgendwelche „Experimente“ vorhanden sind, ist das finanzielle Risiko zu hoch, dass die Einnahmen vielleicht doch nicht gedeckt werden. So entstand die berühmte Gleichförmigkeit der Hollywood-Filme, die bereits im Übermaß existiert. Kein Wunder also dass sich einer wie zum Beispiel Syd Field in seinen Auslandsseminaren in Europa über die Drehbücher echauffiert hatte, wahrscheinlich stand dort der Plotpoint I nicht auf Seite 25 sondern irgendwo auf der 30. Seite.

 

Alternativen und Tipps

Fakt ist, dass es im Drehbuchschreiben inzwischen noch mehr Reglements als in der Straßenverkehrsordnung gibt! Das Schlimme ist auch, dass Studios längst die Regeln eines Syd Fields oder Blake Snyder ernst nehmen und Drehbuchautoren deren Arbeit sich nicht an die vorgegebenen Muster halten schlechte Karrierechancen haben. 

 

All diese Pappnasen von Drehbuchgelehrten weisen immer auf Aristoteles hin, der bereits 335 v. Chr. einen Vortrag hielt, der in die Geschichte einging, die Rede ist natürlich von der „Poetik“ die sich mit den diversen Literaturgattungen auseinandersetzte. Schon dort gab es die berühmten 3-Akte, die für das Drehbuchschreiben noch heute gelten. Was also die Fields, Snyders oder McKees dieser Welt lehren ist tausende von Jahren alt, hat sich meist bewährt und sollte, von jedem Anfänger, der die Kunst und das Handwerk des Schreibens lernen will, auch gelernt werden.

ABER! Ein großes ABER! Man sollte sich als Beginner zunächst von den Albernheiten des Katzenflüsterers fernhalten und die Bücher (zunächst)nicht lesen. Das könnte sich nämlich verheerend auf das eigene Schreiben auswirken. Man tut gut daran, zu wachsen, viele Filme anschauen, andere Drehbücher lesen und sich einigermaßen als „Filmautor“ gefestigt sein fühlen. Wenn es aber um die Lektüre geht, lohnt es sich, zu der „Poetik“ selbst zu greifen. Joseph Campbell mit „Der Heros in Tausend Gestalten“ ist ebenfalls eine gute Lektüre. Wenn man dann doch unbedingt die berühmten „Manules“ der Drehbuchliteratur lesen möchte, dem empfehle ich keine der US-Koryphäen, sondern ein deutsches Buch, und zwar „Vor dem Dreh kommt das Buch“ von Michael Schneider (2001). Schneider erwähnt zwar auch Syd Field und dessen Lehren, klärt aber auch über die „Heldenreise“ auf, die von Joseph Campbell und Christopher Vogler verbreitet wurden. Schneider spricht auch über die Wichtigkeit der Kurzgeschichte für Drehbuchautoren (da das Verdichten ein essenzielles Instrument im Film ist), er rät dazu Bücher über bestimmte psychologische Phänomene zu lesen, und bespricht im letzten Teil über sein persönliches Lieblingsthema, das von vielen unterschätzte Filmgenre der Komödie. So entsteht ein lebendiges Kompendium an Fachwissen und weiterführender Literatur, das m.E. seines Gleichen sucht.

Was ist nun mit Stefan passiert?

Noch ein Wort zum Thema „Rette die Katze“. Blake Snyder, prahlt gerne in diesem Buch, dass er einer der wenigen Drehbuchlehrer ist, die dabei selbst erfolgreich Drehbücher verkauft haben. Wenn wir uns Syd Field, Robert McKee oder Christopher Vogeler anschauen, bemerken wir tatsächlich ein Muster: Sie alle sind nicht für ihre eigenen Drehbücher bekannt, sondern für ihre Drehbuchanleitungen. Da mag Synder durchaus recht haben, und dennoch hätte man ihm doch raten müssen (sei es seine Lektorin oder sonst wer), dies nicht an die große Glocke zu hängen. Denn Synder ist nämlich vor allem für den Sylvester-Stallone-Film „Achtung oder meine Mami schießt“ (1992) bekannt, für die Stallone, Estelle Getty (also der schießenden Mami) und auch Blake Snyder den Negativpreis, „Goldene Himbeere“ erhielten. Manchmal ist Schweigen echtes Gold.

Vier Monate später rief ich Stefan an, um zu fragen, wie weit er denn nun mit der Lektüre seiner neuen Bibel und vor allem seinem Drehbuch gekommen ist. Am Telefon entstand eine lange Nachdenkpause. Ich hakte nochmal nach und er sagte: „Daniel, dieses Buch, ist eine einzige Katastrophe!“ Ich fragte darauf, warum er denn diese Meinung plötzlich vertritt. Stefan traute sich erstmal nicht mit der Sprache herausrücken, doch nach einer Weile, gab er zu, dass er eine seltsame Abneigung gegen Hollywood-Filme entwickelt habe und sie genauso lächerlich fände wie Synders Katzenretterbuch. Er möchte mit dem Blödsinn nichts mehr zu tun haben und habe sich bereits für die Uni wieder eingeschrieben, um weiter Philosophie zu studieren. Halleluja, dachte ich mir! Es gibt doch noch vernünftige Menschen.

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