Für Haile beginnt nun der 5. Tag im Krankenhaus! Was kann sich da alles noch ereignen? Wir wissen es nicht, bzw. ich schon und um euch nicht länger auf die Folter zu spannen, geht es nun direkt los! Viel Spaß!
Von Daniel Zemicael
8. Kapitel
Der fünfte Tag begann spät für mich. Um 10 Uhr quälte ich mich aus dem Bett und ging schnurstracks zur Toilette, die nur eine Tür weiter war. Der Spiegel zeigte mir einen Typen, der wieder
gewisse Ähnlichkeiten mit mir hatte. Ich bin wieder zurück, dachte ich. Die Schwellung ist eindeutig zurückgegangen. Trotzdem konnte man nicht sagen, dass ich ein hübscher Kerl wäre, wie es Leyla
damals immer sagte. Die Zeit rann und meine Oberlippe machte Urlaub in Sachen komplette Genesung.
Zurück im Zimmer nahm ich mein Handy und schrieb Enrico. Wie immer führte ich Protokoll und erzählte ihm alles, was in den letzten Tagen passiert war. Besonders die Sache mit Sebastian machte
Enrico verdammt wütend:
Enrico: Mann, Alter. Wenn ich du wäre, hätte ich dem die Eier abgeschnitten.
Haile: Ich weiß. Du bist ja auch viel cooler.
Enrico: Dieser Schoolbully, der dich jahrelang gequält hat, schwafelt was von Friede, Freude Eierkuchen. Was soll das, Mann?
Haile: Ich weiß, was das soll: Entwicklung.
Enrico: Wie Entwicklung?
Haile: Menschen entwickeln sich weiter. Obwohl ich das in seinem Fall gar nicht glauben kann. Er bleibt wohl immer ein selbstzufriedenes
Arschloch.
Enrico: Eben. Ich hätte ihn die Eier abgeschnitten und ihn dann singen lassen. Dann hätte er ´ne wunderschöne Fistelstimme.
Haile: Hör doch mal auf mit dem Eierabschneidenkram...sag mal, wie geht’s Leyla inzwischen?
Enrico: LOL! Du bist echt der Meister der Überleitungen, wenn’s um deine Ex geht.
Haile: Sag schon! Wie geht’s ihr?
Enrico: Nein sag ich nicht, weil ich nicht weiß, wie es ihr geht.
Haile: Scheiße, hat sie einen Neuen?
Enrico: Wahrscheinlich schon.
Haile: Was soll das jetzt heißen?
Enrico: Ich weiß es zwar nicht aber so, wie sie aussieht, hat sie bestimmt schon ´nen Neuen. Aber keine Sorge, ich bin’s nicht.
Haile: Wie beruhigend.
Enrico: Weißt du, was ich an dir bemerkt habe?
Haile: Was denn?
Enrico: Das du viele Abhängigkeiten hast. Du solltest dich loslösen von dem ganzen Scheiß und deinen eigenen Weg gehen. Wie es Udo Lindenberg singt oder lallt,
muss man fast sagen: »Ich mach mein Ding, egal was die anderen sagen.« Nimm dir das Mal als Motto.
Haile: Ich versuch’s.
Enrico: Wie steht’s mit deiner Oberlippe?
Haile: Es bessert sich. Ich hab vor darüber was zu schreiben.
Enrico: Über deine Oberlippe?
Haile: Nein, bzw. ja. Über meine Krankenhauszeit hier. Ich hab schon angefangen zu schreiben. Der Titel ist schlicht und ergreifend: »IM
KRANKENHAUS.«
Enrico: Hmmm, also als Titel find ich’s langweilig. Das muss doch fetzen. Interesse wecken.
Haile: Du weißt doch, ich schreibe nur für mich. Ich hab nie daran gedacht, irgendwas zu veröffentlichen.
Enrico: Solltest du aber. Obwohl ich ja nie Lesen darf, was du schreibst. Aber wenigstens versuchen solltest du es. Ich hab allerdings ´nen besseren Titel.
Haile: Okay, dann schieß los.
Enrico: »Vulkanartiger Durchfall!« Besser oder?
Haile: Passt zwar nicht zur Geschichte aber okay.
Enrico: Ja, ich weiß ja nicht, was dir alles im Krankenhaus passiert ist. Aber das ist meine erste Fantasie dazu.
Haile: Die Geschichte soll lustig und tragisch zu gleich werden.
Enrico: Ein Szenario könnte so ablaufen: Zum Beispiel kommt der Arzt zum Patienten und er bekommt erstmal vulkanartigen Durchfall ins Gesicht.
Haile: Alter, sowas wird’s in meiner Geschichte nicht geben.
Enrico: Warum? Das ist lustig und tragisch zugleich.
Haile: Bring mich nicht zum Lachen, das tut weh. Mein Abszess ist nicht ganz abgeklungen.
Enrico: Ah ok sorry ;) dann wechsele ich mal das Thema: Was glaubst du, wirst du’s schaffen, an Weihnachten zu deiner Familie zu gehen?
Haile: Ich weiß es nicht. Das Ding ist ja, dass meine Mutter mir nur das Geld für die Reise gibt, wenn ich an Heiligabend bei ihr bin.
Enrico: Da haben wir’s wieder: Abhängigkeiten!
Haile: Mein Bruder und seine fünf Kinder sind aber auch da.
Enrico: Ist die Sache mit deinem Bruder so schlimm gewesen, dass du ihn gar nicht mehr sehen willst?
Haile: Einmal, da muss ich 14 gewesen sein, fing er schon an meine Schreibsucht zu belächeln. Er rief die Psychiatrie an und so kam meine Klinikzeit
erst zustande. Da fing es an, dass man mich für krank gehalten hat.
Enrico: Das tut mir leid, Mann. Diese sogenannten psychisch Kranken, die dann in der Klapse so angebunden sind, wie Junkys an der nächsten Nadel, sind manchmal
viel gesünder als die Behindertenfressen, die da draußen rumlaufen.
Haile: Da ist wohl was dran.
Enrico: Naja, jedenfalls muss ich jetzt einkaufen gehen. Muss auf dem letzten Drücker noch Weihnachtsgeschenke für die Familie besorgen.
Haile: Na dann, viel Spaß in der überfüllten Stadt.
Enrico: Ich weiß, das ist ätzend. Schlimmer kann nur ein Abszess in der Oberlippe sein.
Haile: Da ist wohl auch was dran.
Enrico: Also, bis bald bro.
Haile: Ja, mach’s gut, bro.
Ich legte mein Handy weg und dachte über die Dinge nach, die mir Enrico über Abhängigkeiten sagte. Hatte ich wirklich den Drang, mich wie eine Klette an Leuten zu heften, und kein
selbstbestimmtes Leben? Es ging ja nicht nur mir so, dass man anderen Menschen gefallen will, ist das nicht ein menschliches Bedürfnis? Vielleicht war es bei mir auch ausgeprägter und das ich
mich fast schon aus Reflex bei anderen abhängig mache. Lag es an meinen familiären Verhältnissen, dass mich damals keiner ernst nahm und ich inzwischen nach Anerkennung heische?
Yilmaz kam die Tür rein und klatschte lautstark in die Hände. Er setzte sich an den Tisch und machte mit seinem Arm einen Strike.
»Es ist so weit.«
»Was denn?« Fragte ich.
»Ich werde so bald wie möglich entlassen. Vielleicht heute oder auch morgen.«
»Nein, oder?« Ich war schockiert.
»Doch! Doch!«, er lachte, »Meine Tochter wird nach München fahren und besucht ihre Tante. Es klappt also doch.«
»Das wird sie bestimmt freuen.«
»Ja und ob. Hab sie gerade nach der Visite angerufen. Sie ist in die Luft gesprungen und hat das Telefon fallen lassen.«
Ich lachte.
»Aber dafür muss ihr alter Herr wieder ins Krankenhaus.«
»Wieso das?«
»Die Autofahrt wird bestimmt mehr als fünf Stunden dauern, danach bin ich so fertig wie ein Fisch, der gerade aus dem Meer geangelt wurde. Fix und kaputt.«
Er lachte und ich stimmte mit ein, fand den Vergleich eben lustig, obwohl mein Lachen einen bitteren Beigeschmack hatte.
»Inshalah«, sagte er, »wirst du auch bald entlassen. Damit du mit deiner Familie Weihnachten feiern kannst.«
»Ja, ich hoffe es auch.«
»Und das mit deiner Weltreise, ist eine unglaublich gute Idee. Du packst das schon. Denk immer positiv.«
»Ich versuch’s.«
»So! Jetzt pack ich mal meine Sachen. Ich muss mit dem Arzt später klären, wann es soweit ist mit der Entlassung. Ah, und meine Frau anrufen, sie holt mich mit dem Auto ab.« Yilmaz nahm sein
Handy vom Bett, was zuvor stundenlang unbeaufsichtigt dort gelegen hatte, und ging wieder aus dem Zimmer, um in Ruhe zu telefonieren.
Scheiße Mann, dachte ich, ich wollte nicht, dass Yilmaz ging. Der war mir ans Herz gewachsen und wer oder wie der zukünftige Zimmernachbar sein würde, machte mir ein bisschen Bange.
Aber an einem Tag kann noch viel passieren.
9. Kapitel
Während ich an dem Tisch in meinem Zimmer saß und an dem Text schrieb, der von meiner Krankenhauszeit handelte, kam ein leises Verlangen nach Zigaretten in mir hoch. Das Nikotinpflaster, das auf
meinem Arm klebte, half schon einigermaßen, doch die Lust nach einer Kippe konnte damit trotzdem nicht gestillt werden.
Außerdem nagte der Hunger an mir. Fünf Tage Suppe oder Brei waren gelinde gesagt Kacke. Und weil ich merkte und wusste, dass wenn man innerlich unruhig wird, dass schreiben lieber verschieben
sollte, legte ich den Bleistift zu Seite und stand auf. Yilmaz war immer noch weg und das bedeutete Langeweile im Zimmer. Also beschloss ich rauszugehen und um die Station zu latschen.
Im Aufenthaltsraum war diesmal keiner zu sehen. Nicht mal das Mädel, was einem Wunder glich. Wahrscheinlich schon entlassen. Ich ging zum Fenster und wärmte mich an der Heizung. Man hatte einen
klasse Überblick über die Stadt. Es war so, als hätte die Stadt kein Ende. So dachte ich auch damals, als ich noch ein wenig jünger war: Die Chancen und Möglichkeiten sind riesengroß. Aber mit
zunehmenden Alter wird diese Chance immer kleiner wie der Blick auf die Stadt am Abend, da sieht man nur ein Bruchteil der Aussicht.
Verdammt, dachte ich, ich bin doch erst 24 Jahre alt, was hab ich also für ein Scheißproblem?
Enrico würde pseudofachmännisch meine Gedanken als »Spätjugenddepression«, betiteln. Er erfand gerne Neologismen oder stellt Wörter so zusammen, wie sie noch nie waren. Zum Beispiel, als ich
Leyla kennenlernte, sagte er, ich hätte das »Nebendembestenfreundwohenendeschönheitsglücktreffer-Syndrom«, was genauso ein Glücksfall wäre wie im Lotto sechs richtige zu haben. Als sich Leyla von
mir trennte, weil ich ihr angeblich zu gutherzig war, sagte Enrico über sie: »Scheintrennungsmimose«, was ich nicht gerade unterschreiben würde. Ich hing ja noch an ihr.
»Geniale Aussicht, oder?«, sagte eine junge Frauenstimme. Ich drehte mich um. Es war die Kaffeetrinkerin oder trank sie doch immer nur Tee? Jedenfalls stand sie vor der Tür des Aufenthaltsraums
und betrachtete mich mit verschränkten Armen. Zum ersten Mal sah ich sie mir genauer an. Sie hatte rot gefärbte Haare, ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift: »Nicht ansprechen!«, was sie sich
wahrscheinlich selbst mit Edding draufgeschrieben hatte. Mein Blick wanderte danach auf ihren linken Arm, der mit Narben und Stichen übersät war, die sie sich wahrscheinlich mit einer scharfen
Klinge beigefügt hatte. Man sah ihr an, dass ihr Leben trotz jungen Alters bewegend und hart verlaufen war.
»Äh ja«, sagte ich, »Das denke ich auch immer, wenn ich da raus schaue.«
»Das Blöde ist nur, dass man auf dem Balkon keine mehr rauchen darf, dass einem ja den Grund gab in die Kälte zu gehen, um länger rausschauen zu können, findest du nicht auch?«
»Ja, find ich auch«, stimmte ich wieder zu und kam mir ein bisschen dumm vor, weil ich alles bejahte und keine eigene Meinung hatte. Aber sie hatte eben recht.
Sie schlürfte zum Geschirrschrank und nahm sich eine Tasse und legte sie unter die Maschine. Es floss heißes Wasser rein. Also Teetrinkerin.
»Willst du auch einen?«, fragte sie.
»Ja gerne«, erwiderte ich.
Sie nahm noch eine Tasse und es floss wieder Wasser aus der Maschine.
»Am liebsten hätte ich ja einen Kaffee«, sagte ich, »aber ich hab gehört, dass der ohne Koffein ist.«
»Ja«, bestätigte sie mich, »das ist Absicht, wahrscheinlich will das Krankenhaus nicht, dass wir noch nachts ein koffeinhaltiges Getränk zu uns nehmen und deswegen nicht schlafen können.«
»Macht Sinn«, sagte ich.
»Aber meine Theorie geht ein bisschen anders.«
»Und wie«, wollte ich wissen.
»Das Krankenhaus tickt genauso wie die heutige Gesellschaft. Alles was Spaß macht, ist strengsten Repressalien unterzogen.«
»Ach ja?«
»Ja! Ein Beispiel: Früher hätte man vor der Eingangstür des Krankenhauses rauchen können. Heute ist der Raucherpavillon gefüllte zehn Kilometer entfernt. Aber warum? Eben darum, weil sie alles
unterbinden wollen, was uns Freude macht.«
»Oder«, gab ich, als Einwand, »Sie wollen nicht, dass wir an Lungenkrebs verrecken.«
»Das kann natürlich auch sein.«, sie lachte und ich stimmte mit ein.
»Ich heiße übrigens Natascha.«
»Haile.«
Wir gaben uns die Hand. Danach nahm sie sich einen Teebeutel aus der Ablage, dessen Sortiment riesig war. Sie nahm Fenchel und ich türkischer Apfel. Sie setzte sich an ihrem Stammplatz neben der
Tür und ich dachte, was solls, setz dich doch zu ihr.
»Warum bist du hier?«, fragte Natascha.
Ich zeigte auf meine Oberlippe.
»Sie sieht allerdings besser aus als am ersten Tag«, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
»Wie? Was?«, fragte ich, »ich hab die letzten Tage alles Mögliche versucht, dass keiner mich auch nur wahrnimmt.«
»Mir ist das aber aufgefallen. Und du bist mir aufgefallen.«
»Okay«, sagte ich und trank mein Tee, obwohl er ziemlich heiß war.
»Warum bist du hier, wenn ich fragen darf?«, wollte ich wissen.
»Ich hab Probleme mit der Nase. Ich nehme Gerüche nicht mehr wahr und es schmerzt auch noch tierisch.«
»Ja«, bestätigte ich sie, »das ist scheiße. Ich habe diese Woche meine Erfahrungen mit Schmerzen gemacht. Ich hoffe, mein Körper verschont mich jetzt bis ans Lebensende.«
»Das hoffe ich auch für dich.«
»Danke.«
»Keine Ursache. Siehst du, sowas hab ich die letzten zwei Wochen gebraucht. Nette Menschen, mit denen man sich unterhalten kann.«
»Ich glaube«, begann ich, um aus ihr etwas Bestimmtes herauszulocken, »das man in der Psychiatrie viel schneller ins Gespräch mit anderen Patienten kommt, als in so einer piefigen HNO
Klinik.«
»Keine Ahnung«, sagte sie, »ich hab Psychiatrien nicht mal von außen bestaunen können.«
»Ach ja?«, sagte ich, etwas zu laut vor Überraschung.
»Ja, aber wie es sich anhört, warst du schon oft in einer.«
»Nein, nein! du weist schon, vom Hörensagen! Die Bekannte eines Freundes...«
Natascha lachte laut, lehnte sich ruckartig nach hinten auf dem Stuhl und klatschte in die Hände. Ich trank wieder einen übertrieben heißen Schluck Tee und ließ mir nichts anmerken, dass meine
Geschmacksknospen adieu sagten.
»Keine Sorge«, sagte sie, »hab dich nur veräppelt. Klar war ich schon in Psychiatrien.« Sie schaute meinen Blick, der auf ihren linken Arm zielte und fügte noch hinzu: »Offensichtlich.«
»Da bin ich aber erleichtert....ich meine....äh...ich meinte...«
»Keine Sorge«, sagte sie diesmal prustend, »Mann Haile, bei dir bepisst man sich fast schon vor Lachen.«
»Danke dass ich so amüsant bin.«
»Sorry, ich wollte dich nicht auslachen.«
»Ach was, ich versteh schon Humor. Aber mal ´ne andere Frage: Du scheinst den Aufenthaltsraum hier zu mögen.«
»Ja! Ich liebe es, hier zu sitzen, etwas zu trinken und aus dem Fenster zu sehen.«
»Wird das nicht zu eintönig auf Dauer?«
»Nicht wenn man die Leute beobachtet die hier reinkommen und sich unterhalten. Das ist manchmal so interessant, dass ich es fast aufschreiben will.«
»Dann mach’s doch.«
»Aber wie?«
»Also ich hab so ´ne Macke. Das heißt, ich schreibe alles auf, was mir in den Sinn kommt...«
»Ja, klar. Tagebuch.«
»Nein, nicht direkt. Es nennt sich Graphomanie. Das ist fast schon pathologisch, denn alles, was ich sehe, denke und erlebt habe, muss ich irgendwo notieren. Als ich so 14 war, hatte ich ein
Faible für Karteikarten, weil die schön handlich waren, und dort schrieb ich alles auf. Das ging so weit, dass mein Zimmer voll war von diesen kleinen gelben Zetteln. Und bevor du was sagst, ja,
ab da fing meine Psychiatriekarriere richtig an.«
»Nee, das wollte ich gar nicht sagen.« Sagte Natascha ein wenig betroffen, weil sie vielleicht dachte, dass ich ihre Art für zynisch hielt. »Es fasziniert mich eher, denn ich träume schon immer,
etwas aufzuschreiben. Nur weiß ich halt nicht wie ich das mache. Aber du scheinst mir schon was vorauszuhaben.«
»Naja, eigentlich schreibe ich nur für mich. Ich denke nicht an ´nen Bestseller oder so.«
»Aber lesen dürfte ich das schon, oder?«
Ich war überrascht. Es schien sie wirklich zu interessieren. Allerdings hatte noch nie jemand irgendwas von mir gelesen. Deswegen war es unvorstellbar ihr was zu zeigen. Obwohl dachte ich mir, es
wird sie zwar langweilen, aber immer noch besser als jeden Tag hier zu sitzen und Tee zu trinken oder mit einem Typen zu quatschen der einen scheiß Abszess in der Fresse hatte.
»Ich komm gleich«, sagte ich und stand auf, um mein Schreibzeug zu holen.
Nach einer halben Stunde war sie mit dem was ich bisher über die Krankenhauszeit geschrieben hatte komplett durch. Es waren so fünfzig Seiten und sie las sehr gründlich, wiederholte ein paar
Sätze oder blätterte wieder zurück. Sie meinte es wohl ernst mit dem Schreiben, denn irgendwie schien es mir so, als würde sie mein Geschreibsel studieren.
»Soll ich ehrlich sein?«, fragte sie und schaute mich durchdringend an.
»Ja«, sagte ich. Ich wusste nicht, was mich erwartete.
»Ich finde, das ist eine Verschwendung.«
»Du meinst Blattverschwendung?«
»Nein! Ich finde, du solltest es veröffentlichen und irgendwo hinschicken. Verlage gibt es sehr viele und ich glaube, bei irgendeinem könntest du echt auf Interesse stoßen.«
»Ja, aber ich weiß nicht«, sagte ich.
»Und das meine ich mit Verschwendung. Da ist jemand, der schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und dieser jemand schreibt flüssig, humorvoll, hat offensichtlich Talent. Also benimm dich
bitte nicht wie der Mann mit der eisernen Maske, der auch nur eine schemenhafte Erscheinung war.«
»Ja«, sagte ich, »aber er wurde ja trotzdem bekannt.«
»Aber nur weil er sein ganzes Leben im Knast saß und so ´ne hässliche Maske trug. Was ich meine ist, versuch weiterzuschreiben, und bring es unter die Leute.«
»Danke für die Motivation.«
»Ich mein es bitterernst was ich gesagt habe.«
»Ich auch. Ich meine mit dem Danke, meine ich es bitternst.«
Sie lachte. »Wenn du willst, können wir Nummern austauschen.«
»Gerne.«
Sie zog ihr Handy aus ihrer Hosentasche. Ich gab ihr meine Nummer, dann klingelte plötzlich mein Handy.
»Sicherheitshalber«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ich geh mal wieder in mein Zimmer.« Sie stand auf.
»Dann bis bald. Wir sehen uns noch, oder?«
»Ja, ich bleib hier noch ein Weilchen.«
»Okay.«
»Wenn du willst, können wir dann die Tage raus und eine Rauchen. Obwohl ich mir ja das Rauchen abgewöhnen will.«
»Echt?!«, fragte ich, »bin auch gerade dran den Scheiß zu lassen.«
»Dann passt es ja«, sagte sie lächelnd und ging aus dem Aufenthaltsraum. Danach lehnte ich mich an den Stuhl zurück und dachte nur Whaaaaat!
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