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"Der Kaffee im Krankenhaus ist ohne Koffein" Part 7

Tatütata Part 7 ist endlich da!

Was zuvor geschah, war heftig. Puhh, Haile geht's mies! Das haben wir in den letzten Seiten deutlich erkannt. Was kann dem Jüngling jetzt nur helfen? Gibt es irgendeine Lösung? Oder spitzt sich alles noch mehr zu? Wir werden es erfahren.

Von Daniel Zemicael

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12. Kapitel

Der Tag ging dem Ende entgegen und es wurde langsam dämmrig. Im Klinikgelände war nur wenig los. Ich lief schon seit einer geschlagenen Stunde durch die Gegend, rauchte wie ein Wahnsinniger und murmelte irgendwelche Beleidigungen, die jedes meiner Familienmitglieder verdiente.


Nur allzu gern hätte ich nach fünf Jahren wieder an Weihnachten bei denen erscheinen wollen, aber nicht um Friede, Freude, Eierkuchen vorzutäuschen, sondern diesem asozialen Pack mal die Leviten zu lesen.
Ha! Würde ich zuerst sagen, während ich vor der Tür meiner Mutter stehe und alle Blicke der Familie auf mich gerichtet sind.  In der Hand trage ich ein Präsentkorb mit einem Tuch obendrauf. Lange nicht gesehen, ihr supercoolen Nichtsnutze! Fahre ich fort: Ich hab gedacht, ich bring euch was mit, und zwar einen Korb voller Scheiße. Halt Stopp! Nicht falsch verstehen! Aber zurzeit verdiene ich so viel Geld als freier Schriftsteller, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Tja, mein Dampfer ist im Hafen. Und da dachte ich, weil ich ja so viel verdiene, aber geizig bin es mit euch zu teilen, könnt ihr den Korb haben, vielleicht bringt der euch Glück. Ich stelle den Korb auf den Boden. Dann drehe ich mich um, gehe zur Tür, mache sie einen Spalt weit zu und rufe noch in alter Holden-Caulfield-Manier: Schöne Weihnachten und gute Nacht, ihr Idioten!

Das ziellose Rumlaufen ging mir langsam auf die Nerven, also setzte ich mich auf eine Bank, zündete mir bestimmt die siebte Zigarette an, und starrte auf den Boden. Ich kam mir vor, wie der einsamste Mensch auf der Welt. Ich wollte den Schmerz loswerden und weinen, es ging aber nicht. Auch das Denken bestand nur noch aus einem Schwarzen Loch. Ja, die Depression war wieder da.
Wenn dich die Depression mal wieder besucht, meinte mal Enrico, dann mach die Tür auf und lad ihn ein. Chill ein bisschen mit ihm, aber schmeiß ihn dann rechtzeitig wieder aus deiner Wohnung, sonst lauft ihr Gefahr bestfriends zu werden.


Was er damit meinte, war, dass ich den Schmerz nicht einfach verdrängen sollte, sondern 1. mich immer fragen, warum er da war und 2. wie ich es schaffen würde, ihn zu heilen.
Um die erste Frage zu beantworten, bräuchte ich keine Millisekunde: Meine Familie hält mich für einen Verlierer. Und das so sehr, dass sich meine Mutter schämt, mich zu besuchen. Ich war ihr Schandfleck.
Die zweite Frage war schon schwieriger: Wie könnte ich dieses Leid nur heilen? Die Weltreise kam mir als Erstes in den Sinn. Ja gut, vielleicht hatte Johnny mit seiner Interpretation für den Grund meiner Reise recht, dass ich von meiner Familie flüchten wollte. Aber sein Argument, dass sich meine Probleme nur in meinem Kopf abspielten, war reichlich abstrus, fand ich.
Und überhaupt: FÜNF VERDAMMTE JAHRE, war ich nicht bei dem Fest aller Feste bei der Familie. Die rechnen doch nicht mehr mit mir. Was kann man da schon groß nachholen? Die kämen sich doch vor, als ob man einen fremden zu sich einladen würde.

»Hast du vielleicht Feuer?«, fragte mich jemand.
Ich blickte hoch. Es war der junge Mann, denn ich vor einigen Tagen hier im Klinikgelände sah. Er hatte wieder sein Rollator dabei. Komisch, dass ich ihn nicht gehört hatte, was praktisch unmöglich war, bei diesen Kieselsteinboden.


»Äh, ja.«, sagte ich und ohne lang zu überlegen, gab ich ihm mein Feuerzeug. Er nahm es an sich und tastete sich an den Klamotten, offensichtlich suchte er seine Zigarettenschachtel. Das dauerte eine Weile. War das ein Trick? Wollte er, dass ich ihm entnervt einen von meinen Kippen gab? Das hätte ich tatsächlich auch gemacht in dieser Situation, wo ich schließlich dem Heulen nahe war. Aber ich empfand es schon als falsch ihm überhaupt mein Feuer gegeben zu haben. Er sah nicht besonders gesund aus, die Glatze und der Rollator sprachen für sich.


»Frierst du denn nicht?«, fragte er. Ich schaute auf mich herunter und bemerkte jetzt erst, dass ich meinen Kapuzenpullover immer noch geöffnet trug.
»Ja doch«, ich schloss den Reißverschluss.
»Schlimm diese Kälte«, sagte er und schaute in den dunklen Himmel, »aber ein gutes hat diese Zeit in der wir uns gerade befinden.«
»Und zwar?« Wollte ich wissen.
»Ist es nicht die magische Zeit der Besinnlichkeit?«
Ich nahm meine Zigarette in den Mund, zog daran und wendete mich mit dem Kopf von ihm ab.
»Oh, da hab ich wohl in ein Wespennest gestochen, oder?«
»Findest du noch deine Zigarette?«, sagte ich immer noch abweisend zu ihm.
»Wer sagt, dass ich nach einer Zigarette suche?«, fragte er.
Irritiert schaute ich wieder zu ihm hoch. Dann fand er, wonach er suchte: einen dicken fetten Joint. Das überraschte mich so sehr, dass ich lachen musste. Ich zeigte mit den Fingern, zwischen denen meine Kippe lag, auf den opulenten Oschi.
»Ist es das wonach es aussieht?«
»Wie ich schon sagte: die magische Zeit der Besinnlichkeit.«
Er setzte sich auf dem Rollator mir gegenüber. Als er sich den Joint anzündete, nahm er einen großen Zug und wartete eine Weile, bis er den Rauch wieder von seinen Lungen entließ. In dieser Eiseskälte wirkte selbst der Rauch, als würde er sich zu einem Eiszapfen verwandeln.
»Willst du vielleicht auch ´nen Zug?«, fragte er, während er hustete.
Nach einer Millisekunde des Schweigens entgegnete ich: »Ich kiffe nicht, und Kiffen ist ziemlich stimmungsverstärkend und meine Stimmung ist nicht die beste.«
»Was ist passiert?«, fragte er.


»Wir kennen uns nicht so gut, dass ich dir jetzt meine Lebensgeschichte ausbreite.«
»Hey«, sagte er, »wir sind beide hier stationär im Krankenhaus, und zwar in der Weihnachtszeit! Es ist arschkalt und offensichtlich sind wir ziemlich angeschlagen, kurzum, wir sind beide im Arsch.«
Das war so direkt wie einleuchtend und es brachte mich wieder zum Schmunzeln. Also gab ich mir einen Ruck. Ich erzählte ihm alles. Und zwar wirklich alles. Von meiner Beziehung zu meiner Familie, meine Probleme mit denen, meine Erlebnisse hier im Krankenhaus, meiner Schreibsucht, meine Weltreisepläne, bis hin zu meinem peinlichsten Moment in der Schule, als ich merkte, dass man Bourgeoisie nicht Borreliose ausspricht.


Ich weiß nicht, was in mir gefahren war, aber irgendwas hatte der Typ so an sich. Er hörte zu und nickte jedes Mal. Genau das brauchte ich zu diesem Zeitpunkt. Es kam mir gelegen. Nach eineinhalb Stunden fühlte ich mich so weit, dass ich sagen konnte: »Ja, das ist so ungefähr mein Leben.«
»Wow!«, sagte er, »Du hast mit 24 viel erlebt.«
»Ich hab mit 24 einen Scheiß erlebt.«
»Wieso das?«
»Ich bin ein Verlierer!«
»Du solltest mal deine negative Energie, in was positives umwandeln.«
»Davon abgesehen, dass das eine Binsenweisheit ist, wie soll das funktionieren? Ich fühle mich so, als würde ich mit dem Auto in einer engen Gasse feststecken und nirgendwo kann ich wenden, damit es weitergehen kann mit der Fahrt.«
»Dann steig doch aus dem Auto aus und geh zu Fuß.«
»Hä, wie?«
»Geh zu Fuß.«
»In meiner Metapher ist das nicht möglich.«
»Aber in meiner. Das Auto ist deine Familie, dein Bruder, dein ehemaliger Schulmobber und alles andere, was dich aufhält. Wenn du aber endlich kapieren würdest, dass es auch möglich ist, dein gemütliches und über die Jahre gepflegtes Auto zu verlassen und deinen Weg ohne es fortzuführen, merkst du eins: Unabhängigkeit!«


»Woh. Okay. Darüber hab ich gar nicht nachgedacht.«
»Das sollest du aber wirklich machen. Und da das Auto in deiner Fantasie bestimmt ein SUV ist, solltest es sowieso vergessen.«
Ich Lachte.


»Hey, wer sagt, dass ich so ein Umweltverschmutzer bin? Ich liebe Mutter Erde.«
»Das ist gut.«
»Apropos, was mich wundert, ist, dass du doch total stoned sein müsstest...«
»Ja, es wundert mich selber, dass ich zusammenhängende Sätze äußern kann, nach der Hälfte des Joints. Alleine macht es übrigens wirklich keinen Spaß.«
Wenn das mal kein Wink war, was dann? Nachdem ich das Kiffen, was ich damals exzessiv betrieb, seien ließ, entdeckte ich den Kaffee als meine Ersatzdroge. Und ohne zu Lügen ging das damals so weit, dass ich zehn Tassen am Tag Trank, der Rekord lag aber auch schon bei achtzehn Tassen innerhalb acht stunden. Es war genau so schlimm, wie es sich anhörte. Im Krankenhaus gab es ja nichts, außer dieser Brühe, die sich Kaffee nannte, was einem Plagiat nahekam. Deswegen fand ich, wären ein paar Züge aus dieser Wundertüte vielleicht genau das Richtige. Er sah mich grübeln und überreichte mir den Joint. Ich nahm es und zog ein paar Mal dran.
»Mann!«, rief ich vor Überraschung, »Das ist ja absolut Hammer Qualität!«
»Ja«, sagte er lächelnd, »Das ist die Christmas-Super-Edition.«


Ich fing an zu lachen. Es hörte nicht mehr auf. Jap, das Zeug wirkte. Er lachte ebenfalls. Wir bemerkten gar nicht mehr die Kälte, es war so, als ob uns der Rausch warm umarmen würde. Doch eine Frage brannte mir, auf der Zunge. »Und diese Frage durfte ich nicht vergessen.«
»Welche denn?«, fragte er.
»Hä, hab ich das gerade gesagt oder nur gedacht?«, fragte ich und überreichte ihm den fast leer gerauchten Joint.
»Ich hab nur verstanden«, lallte er, »das du gesagt hast: ›und diese Frage durfte ich nicht vergessen‹.«
»Hab ich das gesagt?«, fragte ich.
»Ja, hast du.«
»Wirklich?«, fragte ich.
»Auf jeden Fall.«
»Ach ja stimmt.«, inzwischen lallte ich auch.
»Und?«, fragte er.
»Hm?«, fragte ich.
»Wie ist denn nun die Frage?«, wollte er wissen.
»Ich hab Sie vergessen, sorry.«
Er bebte vor lachen.


»Wir haben zwar noch nicht heilig Abend, aber danke für dieses Geschenk«, sagte ich.
»Bittschön, Haile.«
Mir fiel die Frage wieder ein, aber sein Handy klingelte mit dem Song Frosty the Snowman interpretiert von Billy Idol. Ein wahrer Weihnachtsfan.
»Ich muss da ran gehen«, meinte er und stand auf. »Wir können uns Morgen wieder treffen, wenn du willst. Gleiche Stelle?«
»Ja klar, okay.«
Er nickte zufrieden, nahm seinen Rollator und ging zügig weiter.
»Hey«, rief ich ihm noch hinterher, um meine vergessene Frage zu stellen, »wie heißt du eigentlich?«
»Niko«, sagte er und verschwand im Dunkeln.


13. Kapitel

Als ich wach wurde, schaute ich gleich auf mein Handy und schaltete die Weckerfunktion aus. Es war genau acht Uhr. Das Zimmer war so hell, dass meine Augen sofort schmerzten. Doch statt die Gardinen zuziehen, legte ich mich auf den Rücken und ließ mit geschlossenen Augen den gestrigen Abend nochmal Revue passieren. Es war ein Tohuwabohu an Gefühlen, dass damit endete, dass ich mit einem unbekannten Typen einen Joint rauchte. Das muss man sich mal vorstellen. Und das Schräge war, dass ich ihn heute Abend noch mal sehen werde.


»Ist das ein Piper? Oder nicht?«, murmelte mein furchtbarer Zimmer-Nachbar, der wahrscheinlich ein Buch las oder so, aber ich schaute nicht nach ihm.
Immer noch auf dem Rücken liegend malte ich mir aus, wie es wäre, wenn ich auf meiner Weltreise lauter solche interessanten Leute treffe wie am vorigen Tag Niko. Ja, Menschen kennen lernen, andere Erfahrungen machen, neue Sichtweisen lernen und nur das beste Essen genießen. Das ist Dolce Vita für mich.
»Ah und der Christoph 54 ist auch wieder fleißig unterwegs«, murmelte wieder Herr Wörther.
Ich schaute kurz zu seinem Bett, aber da lag außer seinem Handy keiner. Also setzte ich mich auf, und da stand er, auf meiner Seite des Zimmers und schaute aus dem großen Fenster. Er hatte also die Vorhänge geöffnet und kein sadistischer Pfleger, der uns nicht schlafen lassen wollte.
Herr Wörthers Handy klingelte, so laut mit dem Coversong über die Wolken von Dieter Thomas Kuhn, dass ich dachte, jetzt steh ich lieber komplett auf, sonst werde ich später von diesem Lied aufgeweckt und es gibt schönere Arten um wachzuwerden.


Er schlürfte jedenfalls lässig und so langsam zu seinem Bett, dass das Klingeln schon wieder aufhörte, bevor er da ankam. Dann sah er mich an und bemerkte, dass ich wach war und von der Bettkante ihn beobachtete. Doch es klingelte wieder. Er nahm das Handy vom Bett und ging ran.
»Ja, wer ist denn da? Bist du es Bettina Schatz?«, fragte er in den Hörer. »Wie bitte?«, sagte er und runzelte seine alte Stirn, »WAS? NEIN, ICH WILL NICHT DEN SUPER-GEDUPERTEN-HANDY-VERTRAG! ICH HAB SCHON EIN HANDY! LASSEN SIE MICH IN RUHE!«


Er legte auf und warf sein Handy aufs Bett. Als er sich davon entfernte, sah er wieder mich an, was ihn dazu bewog wieder umzukehren, um sein Handy an sich zu nehmen und in der Hosentasche verschwinden zu lassen. Schließlich das gleiche Spiel wie immer: dumm aus dem Fenster glotzen. Was verdammt noch mal gibts denn an diesem grauen Tag zu bestaunen?

Mein Finger juckte schon, der Schreibdruck ergriff mich schon wieder. Und statt mich mit diesem Choleriker zu unterhalten, der sowieso nur beim dritten oder vierten Mal Wiederholen was verstehen würde, setzte ich mich an den Tisch. Mein Manuskript lag schon da, auch der Bleistift war griffbereit, nur ein Problem gab es: Herr Wörther stand genau hinter mir, was mir das Gefühl gab, alleine zu sein, andererseits hätte der Alte jetzt leichtes Spiel um mich zu strangulieren. Aber so what, ich bin sowieso am Arsch.
Also Bleistift in die Hand und ab geht die Post. Ich schrieb wie ein wilder Stier. Dabei machte ich total zu: Ich nahm weder meinen Griesgram-Zimmer-Nachbar wahr, noch die Umgebung oder Bedürfnisse wie Wasser trinken oder Hunger.


Meine Geschichte wurde immer fiktionaler. Ich änderte nicht nur die Namen, sondern auch die Geschehnisse und anderen Kleinkram. Was ich nicht wollte, war einen autobiographischen Text zu schreiben, nein, ich nahm mir von nun an vor, etwas für andere Menschen zu kreieren. Mein Ziel war es, einen Roman zu schreiben.
Ich machte mir aber nichts vor, denn ich hatte null Erfahrung mit dem Texten von Dingen, die viele Leute später Lesen würden. Wer interessiert sich auch für einen Typen mit einem Abszess? Wie das ganze Ding werden würde, wusste ich auch nicht, aber ich war noch nie in diesem Zustand, was ich mal als Flow bezeichnen würde. Das war alles, was ich wollte: Schreiben, um mich besser zu fühlen. Es war also alles andere als unnütz, es war meine Hilfe, um dem Wahnsinn namens Leben einen Sinn zu geben. Zwei Stunden später fühlte ich mich satt geschrieben. Ich lehnte mich zurück und sah mir die fünfzig Seiten an. Fünfzig Seiten! Das war mehr, als ich erhofft hätte.


»Und das ist ein Schempp-Hirth Cirrus!«, erschrak mich Herr Wörther, der immer noch hinter mir stand. Ich drehte mich zu ihm um und er starrte weiterhin aus dem Fenster.
Ich stellte mich neben ihn und schaute raus. Außer geschäftigem Treiben auf den Straßen und schlechtem Wetter war absolut nichts zu sehen.
»Nach was schauen Sie eigentlich, wenn ich fragen darf?«
»Bitte?«, fragte er und hielt sich seine Hand hinters Ohr.
»Ich habe gefragt, was gibts denn da zu sehen?«
»Flugzeuge.«, sagte er.
»Wie Flugzeuge?«
»Wie bitte?«, fragte er wieder und ich überlegte es seien zu lassen, ich hasste es, mich ständig wiederholen zu müssen.
»Warum denn Flugzeuge?«, fragte ich dann doch. Ich schwor mir bei der nächsten Wiederholung in den Aufenthaltsraum zu gehen und dort lieber den ekligen Kaffee zu trinken.
»Ich liebe Flugzeuge!« Sagte er schließlich.
Na gut, dachte ich mir. Andere lieben das Angeln, er liebt Flugzeuge, was solls. Ich beschloss, aus dem Zimmer zu gehen und ihm mit seiner langweiligen Beschäftigung alleine zu lassen. Mein Manuskript unter dem Ärmel gepackt, ging ich Richtung Tür.


»Ich war über 40 Jahre in der Luftwaffe!«, sagte er abrupt und wie immer Laut. Ich drehte mich zu ihm um.
»Sie waren im Militär?«, meine Frage war so überraschend gestellt, dass ich hoffte, er würde sie mir nicht als unhöflich auslegen.
»Oh ja«, sagte er und sah so beglückt aus, dass man dachte, er schwelge in Erinnerungen. »Ich hätte es fast zum ranghöchsten Dienstgrad geschafft.«
»Wirklich? Zum General?«
»Genau«, er zeigte mir den Daumen, als ob ich in einem Quizspiel die richtige Antwort gegeben hätte.
Ich legte mein Manuskript wieder auf dem Tisch und ging zum Fenster.
»Das war Damals«, sagte er, »Da habe ich praktisch mein Leben verbracht. Ich frage mich, wie es meine Frau nur ausgehalten hat, ich hatte eben wenig Zeit für sie...«, dann machte er kurz eine Pause, da er selbst merkte, dass es ein bisschen zu privat wurde, dann wedelte er mit der Hand, um das Thema zu wechseln, »...jedenfalls, um deine Frage zu beantworten: Ich liebe es zwar Flugzeuge zu beobachten, aber so ein Geschütz selber zu fliegen, ist atemberaubend. Hast du einen Flugschein?«
»Nein«, sagte ich lachend.
»Ich rate dir, einen zu machen. Es gibt nichts Besseres. Das Gefühl, abzuheben, für einen Moment, alles hinter sich zu lassen und nur der Himmel und du. Das ist sagenhaft. Das ist Freiheit!«
»Fliegen Sie immer noch?«, fragte ich.
Da wurde Herr Wörther plötzlich still und schaute aus dem Fenster.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Mein Flugschein«, sagte er mit Bitterkeit in der Stimme, »wurde einkassiert, sprich, ich darf nicht mehr Fliegen und zwar wegen meiner Zuckererkrankung.«
»Sie haben Diabetes?«
»Ja, so ist es. Das ist der einzige Grund, warum man mir den Flugschein quasi aus der Hand gerissen hat. Meine größte Leidenschaft darf ich nicht mehr ausüben, wegen sowas. Eine Schande ist das.«
»Das tut mir Leid«, sagte ich.
Er versuchte, sich wieder zusammenzureißen, schaute mich an und zwang sich dabei ein Lächeln ab.
»Was ist mit dir? Warum bist du hier im Krankenhaus?«
»Ich habe einen Abszess.«
»Wo denn?«
»Können Sie es nicht sehen?«
»Nö.«
»Na dann: Ich bin geheilt!«
»Herzlichen Glückwunsch!«, sagte er lachend.
»Dankeschön.«
»Du siehst aber nicht gerade glücklich aus.«
»Ja? Kann sein. Wahrscheinlich weil ich dann entlassen werde.«
»Bitte?«
»Ich sagte, vielleicht werde ich bald entlassen.«
»Das ist doch gut!«, sagte er und lachte wieder. Ich war allerdings ernst.
»Vielleicht will ich das gar nicht.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte...«
»Ich hab dich schon verstanden...aber du bist der erste Mensch, denn ich kenne – und ich kenne aus meiner langen Krankenhaus-Karriere viele Menschen – der im Krankenhaus bleiben will. Dazu noch kurz vor Weihnachten.«
»Dann kennen Sie nicht die Menschen aus Psychiatrien, da kenn ich mich wiederum aus.«
»Bitte?«
»Ach nichts.«
»Mein Junge«, sagte er wie in einem amerikanischen Film, wo der alte dem Jungen, seine Weisheiten preisgibt, »ich kenne deine Probleme nicht, aber ist es nicht jetzt die Zeit sie für ein und allemal zu klären?«


Ich schwieg. Aber um nicht wie ein Idiot dazustehen, wollte ich antworten und Dinge sagen, wie, kann sein oder Sie haben recht. Und genau in diesem Moment, als ob mich jemand vor dieser Lüge verschonen wollte, klopfte es so laut und so lange an der Tür, dass das kein Pfleger sein konnte.

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