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Der Kammerspielfilm - das unentdeckte Genre 1/2

Er ist einer der am wenigsten geschätzten Genres der Filmgeschichte. Heute ist er noch unbeliebter als damals. Manche Streifen sind vergessen, andere sind marginalisiert, von den Zuschauern kaum wahrgenommen oder als zähe und fade Kost befunden worden. Dabei gehen die aufregendsten Filme aus ihm hervor. Die Rede ist vom Kammerspielfilm.

Ein Essay von Daniel Zemicael 


Es scheint so als würden die klassischen Genre-Filme wie z.B. Science-Fiction, Thriller oder Action eine besondere Garantie haben im Kino ein Massenpublikum zu erreichen. Nun sind neben der Action auch noch das Kleid und der Umhang wichtig geworden, was den Helden gleich zu einem Superhelden macht. Und wenn die Protagonisten auch noch eine blaue Hautfarbe besitzen („Avatar – Aufbruch nach Pandora“, 2009 und Teil 2 „The Way of Water, 2022), scheint es Milliarden begeisterte Menschen zu geben, die der Faszination erlegen sind. Da nehmen die Leute auch gut und gerne einen Preisaufschlag für die 3D-Brille in Kauf, Avatar-Regisseur James Cameron wird sich jedenfalls wie kein zweiter freuen, dass seine Taschen großzügig gefüllt werden. Das minimalistische Genre des Kammerspielfilms dagegen hat es vergleichsweise sehr schwer mitzuhalten. Man versuche sich mal zu erinnern, welcher Kammerspielfilm so in Allermunde war wie Camerons Materialschlacht oder die mittlerweile unglaublich behäbigen Marvel-Comic-Verfilmungen, die scheinbar jede Woche das Kino verstopfen?


Mir persönlich fallen Zwei ein: „Die zwölf Geschworenen“ (1957 von Sidney Lumet, wobei die 1997er Version von William Friedkin für mich ein Ticken gelungener ist), ein Meisterwerk der Filmgeschichte und zugleich der Monolith des Kammerspielfilms, da er auch der erste Film ist, den man nennt, wenn es sich um dieses Genre handelt (sogar bei Leuten die sich nicht gut mit Filmen auskennen. Da reicht es schon, wenn diese sagen: „Ein Film in dem Leute die ganze Handlung über nur in einem Raum sind und reden.“ Mehr braucht es erstmal nicht, um die Grundzüge dieser Filme zu erklären).


Der Zweite ist, „Der Gott des Gemetzels“ (2011, von Roman Polanski). Dieser im Vergleich zum erstgenannten kommt eher leichtfüßig daher (auch wenn der Titel etwas anderes suggeriert), bietet viel zum Schmunzeln und gar zum Lachen an und ist eine sehr ausgeklügelte Satire über das ach so kultivierte Bürgertum. Der Film spielte allein in Amerika 30 Millionen in den Kinokassen ein und gehört somit zu den erfolgreichsten Kammerspielfilmen, die je ins Kino kamen. Aber gehört er auch zu den Besten? Mitnichten. Erfolg ist nicht gleichzusetzen mit Qualität (man sehe sich nur die wöchentlichen Kinocharts an).
Man sollte einen intensiven Blick in die Filmgeschichte wagen und gezielt nach diesem Genre suchen. Man wird überrascht sein, wie viele geniale Meisterwerke darin versteckt und an den Kinokassen gefloppt sind und sträflich vom Publikum ignoriert wurden. Doch es lohnt sich, diese Filme neu zu entdecken, bieten sie doch auch mehr, als nur eine Handvoll Leute, die sich in einem Raum befinden und reden. Es ist alles andere als abgefilmtes Theater.


Die Anfänge des Genres


Der Kammerspielfilm hat eine lange Geschichte. Doch ein wichtiges Merkmal der Gattung fehlte zu seinen Anfängen: das gesprochene Wort. Denn schon zu Stummfilmzeiten gab es dieses Genre, das sich vom Theater abkoppelte und eine filmische Form annahm. Der berühmte schwedische Schriftsteller und Dramatiker August Strindberg (1849-1912) war der Allererste, der den Begriff fürs Theater prägte. Max Reinhard (1873-1943), war nicht nur der Erste, der den „Jedermann“ in den Salzburger-Festspielen inszenierte, sondern auch der, der den Begriff des Kammerspiels in die deutsche Öffentlichkeit brachte.


„Scherben“ begründet 1921 schließlich den ersten Deutschen Kammerspielfilm. Regisseur Lupu Pick (1886-1931), schuf dieses zirka einstündige Werk zusammen mit dem Drehbuchautor Carl Mayer (1894-1944). Mayer, der bis heute für seine unzähligen Meisterwerke einen Ruf besitzt, von denen heutige Drehbuchautoren nur träumen können, war maßgeblich dafür verantwortlich, dass dieses Subgenre des Stummfilms um die Welt ging. Die Deutschen wurden dafür bewundert, dass sie Filme drehten wie „Der Letzte Mann“ (1924), wo wieder Mayer das Drehbuch schrieb. Dieses beachtliche Werk von Ausnahmeregisseur Friedrich Wilhelm Murnau zeigt deutlich, dass es sich nicht um abgefilmtes Theater handelt, wenn wir vom Kammerspielfilm reden. Die sogenannte entfesselte Kamera, die von Karl Freund geführt wurde, kam hier zum ersten Mal zum Einsatz und beeindruckte sogar die Traumfabrik aus Hollywood. Orson Welles, der zu dem Zeitpunkt sicherlich noch nicht an „Citizen Kane“ (1941) dachte, bediente sich später vieler Techniken von „Der Letzte Mann“ und verfeinerte sie noch. Steadycam, Dolly-Fahrten, Aufnahmen wie die Kamera von außen in eine Wohnung eindringt und dabei scheinbar durch das Glas des Fensters hindurch schlüpft, sind heute Gang und Gebe in amerikanischen Filmen, der Ursprung kommt aber aus Deutschland.


Der Kameramann Karl Freund revolutionierte die Filmtechnik und siedelte ab 1929 nach Amerika über, um dort zu arbeiten und auch Regie zu führen. Er war dann auch für einige Folgen der extrem beliebten Sitcom „I Love Lucy“ (1951-1957) wieder als Kameramann tätig. Viele Deutsche zog es später und besonders nach der Machtergreifung der Nazis nach Hollywood. Doch was diese Filmemacher noch nicht ahnen konnten, war das man die Traumfabrik besser, als eine Geldfabrik bezeichnen konnte, die ausschließlich der Gewinnmaximierung dienen sollte und nicht dem künstlerischen Erfolg. Ernst Lubitsch (1892-1947) war einer der wenigen, der mit seinen Komödien punkten konnte. Sie waren nämlich intelligent, unglaublich pointiert und schrammten mit ihrer untergründigen Vulgarität gerade so an der Zensurbehörde vorbei (man nennt seinen Stil auch den „Lubitsch-Touch“). Doch für andere Exilanten war die Arbeit nicht ohne: Fritz Lang wurde künstlerisch von den Studios stark eingeschränkt. Billy Wilder war anfangs unzufrieden, weil die Studios seine Drehbücher änderten. Sogar Murnau wurde trotz drei Oscars für „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ (1927) künstlerisch beschnitten, weil der Film an den Kinokassen kein großer Hit war. Bei so viel Einschränkungen war an den Kammerspielfilm nicht zu denken, da dieses Genre wahrscheinlich wenig Erfolg in amerikanischen Kinos versprach. Wo war die hollywoodsché Begeisterung für „Der Letzte Mann“ geblieben?


Der Shakespeare des Films


Wir schreiben das Jahr 1948. Alfred Hitchcock wollte, nachdem der Vertrag mit dem autoritären Filmproduzenten David O. Selznick auslief (der sage und schreibe knapp zehn Jahre ging), endlich eigenständiger arbeiten. Selznick, den man mit Fug und Recht als den King Kong unter den Hollywood-Produzenten bezeichnen konnte (zufällig hat dieser auch den original-King Kong produziert), hätte mit Sicherheit niemals zugestimmt ein Film mit wenigen Protagonisten und nur einem Schauplatz in die Kinos zu bringen. Zu langweilig, zu sperrig, wären wahrscheinlich seine Argumente gewesen. Doch Hitchcock, der Mann des Suspense und Urheber unzähliger Meisterwerke, ist nicht umsonst in die Filmgeschichte eingegangen. Ich halte ihn sogar für den Shakespeare des Films, da offensichtlich alles, was er anfasst, zu einem cineastischen Glückstreffer wird. „Cocktail für eine Leiche“ (der im englischen den vieldeutigen und besseren Titel „Rope“ trägt), ist ein klassischer Kammerspielfilm, der die Einheit von Ort, Zeit und Raum penibel einhält.
Der nur scheinbar ohne Schnitt gedrehte Film, ist ein Prototyp des später oft verwendeten Sujets von einer Gruppe von meist reichen Jugendlichen (in dem Fall zwei Jungs), die sich so überlegen und unantastbar fühlen, dass sie denken sie kämen mit einem Mord völlig ungestraft davon. Dieser intensiv und extrem spannende Streifen mit James Stewart war nicht die erste Wahl von Hitchcock, er wollte dagegen wieder große Filme drehen. „Cocktail für eine Leiche“ ist durch Zufall entstanden und war seine dritte Wahl nach dem ausgelaufenen Vertrag mit dem „Studio-Diktator“ Selznick. Allerdings floppte der Film beim Publikum und Kritikern.


Mutmaßungen


Offensichtlich haben es Kammerspielfilme sehr schwer ein (Kino)Publikum zu finden. Sogar wenn einer wie Hitchcock sich an das Genre versucht scheitert es an den Kassen. Woran liegt das? Klar, manche sind tatsächlich anstrengend (willkürliches Beispiel ist da der 1993 entstandene Film „Two Small Bodies“ von Beth B.). Doch wieder andere sind so beeindruckend, weil sie die Schauspieler ins Zentrum stellen (z.B. der 1995er Film „Der Totmacher“ von Romuald Karmakar und mit einem großartigen Götz George). Es gibt auch Kammerspielfilme die den Regisseur und sein Konzept im Vordergrund haben, d.h. wo die Intension des Filmemachers und das Spielen mit dem Medium den eigentlichen Hintergedanken des Werks darstellt. Mir fällt da sofort „Funny Games“ (1997) von Michael Haneke ein.


Der Österreicher Haneke, den man ohne Umschweife mit Hitchcock vergleichen kann, schuf mit diesem provokativen Meisterwerk eine Art Parodie auf den leicht konsumierbaren Gewaltfilm. Haneke kritisiert auf eine extrem ausgeklügelte Art und Weise unsere Sehgewohnheiten, um uns den Genuss von brutalen Bildern zu verderben. Klar, dass so ein Thema wie dieses hier auch zu uns nach Österreich, Deutschland oder Europa passt, aber Amerika wo der Thriller oder Actionfilm quasi erfunden wurde und wo ein Quentin Tarantino für seine Blutorgien gefeiert wird, genau da hätte man die „Funny Games“ spielen lassen sollen. Wahrscheinlich dachte das auch Michael Haneke und inszenierte zehn Jahre später den gleichen Film Einstellung für Einstellung nochmal neu (mit dem Titel: „Funny Games US“, 2007 mit Naomie Watts und Michael Pitt). Erst Jahre später erfuhren Original und Remake eine Beliebtheit und erreichten Kultstatus. Aber das Traurige an der ganzen Sache ist, dass sie zu ihrem Erscheinungsjahr rein kassentechnisch gnadenlos floppten.


Und genau das ist es! Es sind fast immer die marginalisierten Werke, die filmhistorisch von großer Bedeutung sind. Um das zu belegen, hier eine kleine Exkursion: „Citizen Kane“ war kein Kassenschlager, aber dafür „Avengers - Endgame“ (2019). „Rashomon“ (1950) von Akira Kurosawa ist in die Filmgeschichte eingegangen, aber jeder kennt nur seine Epigonen (z.B. „8 Blickwinkel“, 2008). Viele denken tatsächlich Tarantino habe den Western rauer, brutaler und spannender gemacht („Django Unchained“, 2013 und „The Hateful Eight“, 2015), dabei kann keiner Sergio Leone mit seinen Italo-Western das Wasser reichen (besonders hervorzuheben ist da „Zwei Glorreiche Halunken“, 1966, der im englischen den Titel „The Good, the Bad and the Ugly“ trägt). Ein Großteil der Filme, die in die Filmgeschichte eingegangen sind, waren bzw. sind gewaltige Flops an den Kinokassen. Was nicht heißen soll, dass alle Flops Meisterwerke sind. Ich für meinen Teil bin heilfroh, dass Til Schweigers Hollywood-Remake von „Honig im Kopf“ gnadenlos scheiterte und er somit seine „Cineastische-Amerika-Expansion“ notgedrungen auf Eis legen musste.

 


Missverständnisse


Als der deutsche Film „Kidnapping Stella“ (2019) von Thomas Sieben auf Netflix verfügbar war, kam mir der Gedanke: Dies könnte ein Revival sein. Der Kammerspielfilm fing in Deutschland an und nun wird es einer Frischzellenkur unterzogen. Der Film selbst war routiniert und passabel, kein Meisterwerk, aber ist „96 Hours“ (2008) mit Liam Nesson ein Wunderwerk der Filmkunst? Sicher nicht.


Das Problem an „Kidnapping Stella“, so erfuhr ich in diversen Kommentarspalten, war das Grundkonzept: Drei Figuren, (fast) nur ein Schauplatz. Hier wurde schon das Prinzip des Kammerspiels kritisiert, ja gar angegriffen. Außerdem wurde der Trailer extrem niedergemacht, u.a. weil zwei Darsteller aus Komödien bekannt waren, aber auch da es sich um einen deutschen Film handelte. Viele, sehr viele hatten den Film noch gar nicht gesehen. Heutzutage werden Filme nicht nach dem Kinobesuch oder nach dem Stream be- oder verurteilt, sondern nach einem zweiminütigen Zusammenschnitt. Diese Affektbezogene Urteile passen zu unserer Zeit, wo wir uns doch mit Twitter gerne über alles und jeden echauffieren und Reaction-Videos tun das übrige einem das Rezipieren eines Kunstwerks völlig zu verleiden.


Mit der großen Erwartungshaltung von „Kidnapping Stella“ wurde ich also enttäuscht. Das deutsche Filmpublikum hat offensichtlich verlernt sein hauseigenes Genre zu lieben. Und das, obwohl der Film ein Thriller ist und jede Menge Spannung bietet. Schauen wir nach Übersee, hat sich so einiges geändert. „Nicht Auflegen“ (2002) von Joel Schumacher zeigt wieder mal, wie aufregend dieses Genre sein kann und keine langweilige Unterhaltung von ein paar Menschen bietet.


Mit einer akrobatischen Kamera, die an den New Yorker Hochhäuserschluchten vorbeirauscht, begleiten wir den arroganten (und dennoch charismatischen) PR-Berater Stu. Er ist jung, gutaussehend, verheiratet und hat eine Affäre mit einer aufstrebenden Schauspielerin, die er jedes Mal von einer bestimmten Telefonzelle anruft. Doch an diesem Tag wird alles anders. Zuerst liefert ihm ein netter Pizzabote das Essen in die Telefonzelle, was schon kurios genug ist. Stu scheucht ihn aber wirsch weg und macht sich auf eine zynische Art und Weise über ihn lustig. Doch dann klingelt das Telefon. Es ist nicht die Affäre. Ein Anrufer, der in einem der vielen Hochhäuser, irgendwo an einem Fenster sitzt, zielt auf ihn mit einem Scharfschützengewehr. Er fordert Stu auf, in der Telefonzelle solange zu bleiben, bis er lernt, was Menschlichkeit bedeutet. Wenn Stu aber auflegt, wird er von dem Anrufer erschossen. Dieses kontraintuitive Motiv vom Täter wurde später mehrfach in ähnlichen Filmen aufgegriffen (u.a. „Liberty Stands Still“, 2002, „Saw“, 2004).


Drehbuchautor Larry Cohen pitchte (Pitch = mündliche oder schriftliche Zusammenfassung einer Filmidee) keinem Geringerem als Hitchcock die Idee eines Mannes, der nicht die Telefonzelle verlassen darf. Wahrscheinlich dachte Cohen, dass Hitchcock Gefallen daran finden könnte, da dieser bereits mit „Cocktail für eine Leiche“ einen Kammerspielfilm drehte und auch mit „Bei Anruf Mord“ (1954) das Genre nicht den Rücken kehrte. Hitchcock war tatsächlich begeistert von Cohens Pitch. Das Entscheidende fehlte jedoch: Warum darf der Mann nicht die Zelle verlassen? Der Drehbuchautor und die Regielegende waren sich uneinig. Hitchcock starb schließlich 1980 mit 80 Jahren. Cohen, der sich bis dahin mit Regiearbeiten anderweitig beschäftigte u.a. mit dem ungewöhnlichen Thriller „Hollywood Kills“ (1984) mit Eric Bogosian (zudem wir später noch kommen werden), verfasste das Drehbuch Jahrzehnte später und ließ es von Schumacher verfilmen.


Trotz großen Erfolg (finanziell und künstlerisch) ist der Film weitestgehend vergessen. Dennoch ist der Streifen ein kleines Wunderwerk. Zum Glück (und hier kann man das Glück nicht in Worte fassen) hat der „amerikanische Till Schweiger“ Michael Bay (Bad Boys, 1995, Transformers, 2007) die Funktion des Regisseurs abgelehnt. Er wollte nämlich das die Hauptfigur alles andere, als den ganzen Film über in einer Telefonzelle steht. Das Ergebnis wäre ein waschechter Michael-Bay-Film, der uns glücklicherweise erspart blieb.

Einer, der die Fahne hochhält


Wer sich im Kammerspielfilm-Bereich bereits warmgelaufen hat bzw. einige der hier erwähnten Werke für sich entdeckt hat, kann meines Erachtens einen Schritt weiter gehen in Bezug auf das Genre: Wir haben in diesem Text einige Filme besprochen, wo es mehrere Personen gibt. In „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ (2005) von Oliver Hirschbiegel existiert nur eine einzige Person! Man könnte sich fragen, wie das überhaupt funktionieren soll. Spricht die Figur etwa mit sich selbst? Jaein! Es handelt sich um den Journalisten Emanuel Goldfarb, der in sein Diktiergerät spricht. Es entfaltet sich ein außergewöhnlicher Monolog über das Jude-Sein. Diese Darbietung von Ben Becker, gepaart mit einem großartigen Drehbuch von Charles Lewinsky, würde man heute als Empowerment bezeichnen. Selbstbewusst und mit einer Prise Wut, teilt Goldfarb einem Lehrer die Absage vor Schülern zu treten und über sich als Jude zu sprechen. Der Stein des Anstoßes ist der Brief von dem besagten Lehrer (Herr Gebhardt gespielt von Samuel Finzi), der offensichtlich große Probleme mit dem Formulieren seines Anliegens hat. Jude. Dieses Wort scheint Gebhardt wahnsinnig schwergefallen zu sein in die Tastatur zu tippen. Goldfarb nimmt also dies als Anlass für einen verbalen Rundumschlag.


Regisseur Hirschbiegel, ist hierzulande viel zu unterschätzt (naja, wir müssen dringend „Der Untergang“, 2004, verdrängen, vergessen und aus unserer „Gehirnfestplatte“ löschen, aber nicht ohne die Bemerkung, dass es sich bei diesem Desaster um einen überwiegend kammerspielartigen Film handelt). Der gebürtige Hamburger liebt offensichtlich dieses Genre, sonst hätte er nicht fünf Kammerspielfilme beinahe hintereinander gedreht. Einer der die Fahne hochhält und nicht aus kommerziellen Gründen dem den Rücken kehrt. Obwohl Hirschbiegel mit „Das Urteil“ (1997) einen sehr gelungenen und sogar mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Kammerspielfilm für das Fernsehen drehte, kam der Durchbruch erst ein paar Jahre später. „Das Experiment“ (2001) mit Moritz Bleibtreu. Dieser psychologische Thriller lehnt sich auf einem wahren Fall an, in dem 20 Freiwillige Probanden in einer Studie an einem Experiment teilnehmen in dem es um Gruppenverhalten geht: Sie simulieren ein Gefängnis, in dem eine Gruppe die Wärter und die andere die Gefangenen spielen. Nach wenigen Tagen eskaliert die Situation und es kommt zu mehreren Gewaltakten.


„Das Experiment“ ist kein schlechter Film, läuft aber Gefahr mit seinem einfachen Schema von Gut und Böse zu simpel zu sein. Seine Hollywood-Ästhetik und vor allem Hauptdarsteller Bleibtreu machten den Streifen erfolgreich und es kam 2010 tatsächlich ein amerikanisches Remake mit Adrien Brody und Forrest Whitaker heraus. Es passiert selten, dass Hollywood ein deutsches Werk neuverfilmt und dann auch noch einen Kammerspielfilm. Zwangsläufig musste ich an die damalige Bewunderung der Traumfabrik an „Der Letzte Mann“ denken. Aber der US-Film „The Experiment“ von Paul Scheuring blieb eine einmalige Sache und dreimal darf man raten, was geschah? Klar, er floppte!


Hirschbiegel drehte als nächstes „Mein Letzter Film“ (2002) mit Hannelore Elsner über den wir nicht so viele Worte verlieren müssen. Ein Zwischenwerk des Regisseurs, der hier, so scheint es, ein Warm-Up für „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ liefert. Elsner ist hier nämlich größtenteils alleine zu sehen und liefert eine One-Woman-Show ab wie später Ben Becker. Leider konnte sich (fast) keiner diese sehr interessanten Werke ansehen bzw. sich von Becker und Elsners schauspielerische Performance ein Bild machen, da die Filme im Kino krachend untergegangen sind. Sie liefen unter dem Radar des Massenpublikums.


Apropos unter dem Radar: Dieser Text arbeitet sich schon an sehr vielen Kammerspielfilmen ab, doch nun folgt der Höhepunkt! Es handelt sich um DAS unterschätzte Werk! Sein Erscheinungsjahr war im Dezember 1988, sein Budget betrug lächerliche vier Millionen Dollar mit einem Box Office von schmerzhaften drei Millionen. Es ist nicht irgendein Film. Nein. Es ist der beste Film, der je gedreht wurde! Im 2. und letzten Teil erfährt ihr, um welchen Film es sich handelt. Seid gespannt.

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